Spektakuläres Verfahren in Burkina Faso: Ermittelt wurde, wer vor fast 35 Jahren Präsident Thomas Sankara ermordet hat. Doch das Urteil erging in Abwesenheit des verurteilten Ex-Präsident Blaise Compaoré.
Jeden Morgen baut Prosper Simporé seinen Stand neben dem Thomas-Sankara-Denkmal in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou auf. Unter großen Bäumen stellt er Bücher über Sankara
in kleine, selbst zusammengezimmerte Holzregale, legt Schlüsselanhänger auf einen Tisch, hängt Fotos und T-Shirts in verschiedenen Farben mit dem Konterfei des 1987 ermordeten Präsidenten auf. Simporé nickt zufrieden, weil das Geschäft gut läuft.
„Wer das Denkmal besucht, kommt anschließend zu mir und kauft eine Erinnerung.“ Die 2020 zwischen Regierungsviertel und Campus aufgestellte fünf Meter hohe Statue zieht jeden Monat mehrere tausend Besucher*innen an und gilt als beliebter wie beeindruckender Ausflugsort.
Verehrt wird hier schließlich Burkina Fasos Nationalheld, der in ganz Westafrika allgegenwärtig ist. Sankara, Panafrikanist und Marxist, kam 1983 während eines Staatsstreiches an die Macht und wollte alles anders machen: Frauenrechte stärken, Dörfern mehr Eigenverantwortung geben. Der oftmals „Che Guevara Afrikas“ genannte Politiker führte Baumpflanzaktionen gegen die Wüstenbildung ebenso ein wie zwei Sporttage pro Woche. Auch änderte er den Namen von Obervolta in Burkina Faso, was „Land der Aufrechten“ bedeutet.
Legendär ist seine Rede vor den Vereinten Nationen im Jahr 1984, als er sagte, dass sich sieben Millionen Menschen – mittlerweile hat sich die Einwohner*innenzahl fast verdreifacht – fortan weigern würden, aufgrund von Ignoranz zu sterben. Das kleine Land bäumte sich gegen internationale Mächte auf und machte sich bald Feinde.
Auch Sankaras schwarzer Renault 5 bleibt in Erinnerung. Er war das günstigste in Burkina Faso erhältliche Auto.
Tödliche Schüsse. „Thomas Sankara war unser unangefochtener Anführer, der viel für die Menschen getan hat. Gleichzeitig war er so bescheiden und hat sich nicht in den Mittelpunkt gestellt. Wir sind extrem stolz auf ihn, auch wenn er längst nicht mehr lebt“, sagt Abdoul Salam Kaboré, der mit ihm die Militärschule besucht hat und später sein Sportminister wurde. Heute betreibt der promovierte Pharmazeut die Apotheke „Pharmacie du Progrès“ in Ouagadougou. Mit großer Achtung und Demut spricht er über den Freund.
Dessen Tod am 15. Oktober 1987 war bis jetzt das größte Mysterium in der Geschichte des Landes, das seit 1960 unabhängig ist. In einem im Herbst gestarteten Prozess vor einem Militärgericht sollte aufgeklärt werden, wer den Befehl zu den tödlichen Schüssen gab. 14 Männer waren angeklagt, darunter Blaise Compaoré, Sankaras Nachfolger, der sich 27 Jahre an der Macht hielt, bis er im Oktober 2014 in einer friedlichen Revolution gestürzt wurde.
Anfang April wurde der Ex-Präsident wegen Beteiligung an der Ermordung seines Vorgängers zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch der heute in Abidjan in der Elfenbeinküste im Exil lebende 71-Jährige, der seit Jahren die ivorische Staatsbürgerschaft besitzt, erschien nicht zum Prozess. Das Urteil erging in seiner Abwesenheit. Als einstiger Staatschef genieße er Immunität, ließen seine Anwälte schon vor Beginn des Prozesses mitteilen. Nach Einschätzung des Sankara-Biografen Bruno Jaffré wird Compaoré von der Elfenbeinküste geschützt.
Burkina Faso
Hauptstadt: Ouagadougou
Fläche: 267.950 km2 (Österreich: 83.880 km2)
Einwohner*innen: 20,4 Millionen
Human Development Index (HDI): Rang 182 von 189 (Österreich 18)
BIP pro Kopf: 857,9 US-Dollar (2020, Österreich: 48.586,8 US-Dollar)
Regierungssystem: Nach einem Putsch gegen die amtierende Regierung am 24. Jänner 2022 hat das Militär unter Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba die Macht übernommen. Burkina Faso bedeutet übersetzt Land des aufrichtigen Menschen. Bis 1984 wurde der Name Republik Obervolta verwendet, den es als französische Kolonie erhielt. Die Umbenennung erfolgte durch den panafrikanistisch-sozialistisch orientierten Präsidenten Thomas Sankara (geboren 1949, ermordet 1987).
Späte Aufarbeitung. Für Sankaras Anhänger*innen war ohne Prozess stets klar: Compaoré trägt die Verantwortung. Das wiegt besonders schwer, integrierte Sankara ihn doch in die Gruppe der Freunde, nachdem sich die beiden im Ausland kennengelernt hatten.
Dann kam der Verrat, ist sich auch die Staatsanwaltschaft sicher. Anfang Februar forderte sie 30 Jahr Haft für Compaoré. Er sei wegen des „Angriffs auf die Staatssicherheit“, des „Verbergens einer Leiche“ und der „Mittäterschaft am Mord“ für schuldig zu erklären.
Sankara hatte an seinem Todestag Kabinettsmitglieder und Vertraute in das Gebäude des Nationalen Revolutionsrates (CNR) gebeten, das noch heute gut 50 Meter hinter seiner riesigen Statue steht. Plötzlich fielen Schüsse, Sankara ging als erster mit den Worten „bewegt euch nicht, sie wollen mich“ hinaus. Nach ihm wurden zwölf weitere Männer erschossen. Alouna Traoré, der einzige Überlebende, gilt als besonders bedeutender Zeuge im aktuellen Prozess. Mehr als 100 Personen haben seit Beginn im Oktober ausgesagt.
Ein anderer Termin hat dem damaligen Sportminister Abdoul Salam Kaboré damals möglicherweise das Leben gerettet. Er war im Stadion des 4. August, das rund fünf Kilometer vom Tatort entfernt liegt. Dort hörte er von den Schüssen und gesperrten Straßen. „Weder Thomas noch Blaise waren telefonisch erreichbar.“ Erst am Morgen danach erfuhr er von Sankaras Tod, über den fortan geschwiegen werden musste. Denn: Unter Compaoré war ein Gedenken an Sankara tabu.
Jüngster Staatsstreich. Das macht die Aufarbeitung Jahrzehnte später umso schwieriger. Dass sie zäh und kompliziert werden würde, war von Anfang an klar. Gleich zum Auftakt des Prozesses im Oktober 2021 wurde für zwei Wochen unterbrochen. Die Verteidigung kritisierte, dass sie nicht genügend Zeit hatte, um das aus 20.000 Seiten bestehende Dossier zu lesen.
Auch in den Monaten danach wurde er immer wieder ausgesetzt, zuletzt Anfang März. Hauptgrund dafür ist der jüngste Staatsstreich vom 24. Jänner, der Oberstleutnant Paul-Henri Damiba an die Macht brachte. Die Verteidigung argumentiert, ihre Mandanten könnten nicht beschuldigt werden, einen Putsch organisiert zu haben, da mit Damiba ebenfalls ein Putschist an der Staatsspitze sei. Für die Mehrheit der anwesenden Angeklagten werden Haftstrafen von drei bis 20 Jahren gefordert.
Eine Hauptkritik an dem Verfahren besteht weiterhin. Selbst nach dem Schuldspruch wird Compaoré wohl nie ins Gefängnis gehen. Expert*innen, die seit Jahrzehnten auf eine juristische Aufarbeitung drängen, damit endlich ein Versöhnungsprozess im Land einsetzen kann, sind deshalb gar nicht erst nach Ouagadougou gekommen.
Dennoch hat der Prozess Signalwirkung: Ein afrikanischer Staatschef wurde verurteilt.
Mit dem Prozess in Ouagadougou gelingt aber noch etwas anderes: Sankara wird endgültig zum Helden. Längst ist Afrikas Che Guevara nicht mehr nur auf T-Shirts, Taschen und Stickern zu sehen. Eine weiterführende Schule ist ebenso nach ihm benannt wie eine Universität. Und geht es nach seinen Anhänger*innen, so könnte bald auch der internationale Flughafen von Ouagadougou so heißen.
Katrin Gänsler ist Korrespondentin mehrerer deutschsprachiger Medien in Westafrika und lebt in Cotonou/Benin und Abuja/Nigeria.
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